Vorwort zur "Niedersächsischen Osterkantate"

von Hugo R. Bartes, 21.4.1957



Oculi, Lätare,
Sei kumet alle Jahre,
Judica, Palmarum,
Ei warum, ei darum
Cantate, Jubilate!
Dei Ostern, dei Ostern
Dei sünd getze da,
Jubilate — Hallelujah!

So singt der Chor in der Osterkantate, die Sie gleich hören werden. Man sollte meinen, darüber brauche man nun nicht noch so etwas wie einleitende Worte zu sprechen, das sei genug der Freude an des österlichen Jubels, der sich in diesen Versen ausdrückt. Aber es scheint mir dennoch nötig und richtig was Sie nämlich zu dieser Stunde hören sollen, das ist etwas Erstmaliges in mehr als einer Beziehung innerhalb des plattdeutschen Sprachraumes Niedersachsens, innerhalb des Bezirkes, in dem das Kaienbergische zum Teil noch lebendig ist. Wwr sich an das Jahreszeitliche Werden und Leben in einem unserer Dörfer vor etwa 30 oder 40 Jahren erinnern kann, dem wird besonders deutlich eine Tatsache vor Augen stehen: dass dieses jahreszeitliche Leben und Werden streng gebunden war an das sakrale Geschehen, wie es sich im Kirchenjahre ausdrückt. Damit aber — das darf man bei der Deutung dieses wahrhaft wunderbaren Geschehens in unseren alten Dörfern nicht ausser acht lassen — wurde eine profane Tatsache wie das Wiedererwachen des Lebens im Frühling in das heilige Geschehen des Kirchenjahres mit hineingenommen.

Beides also, das Heilige und das Profane, gehört zum Leben und Erleben des Menschen auf dem Dorfe. Und Beides hat auch in der Niedersächsischen Osterkantate von Konrad Tegtmeier seinen Ausdruck gefunden. Man kann vielleicht lange Erörterungen daran anschließen, ob es statthaft ist zu singen:

"Christ, dei is uppestahn,
dei Saat, dei Saat is uppegahn!"

Wer aber sein Leben auf einem Dorfe zugebracht hat, dem wird bei diesen Versen sogleich die innige, starke Stimmung gegenwärtig sein, die in den Tagen vor Ostern beinahe greifbar über den Straßen, auf den Höfen, über den Feldern und Wäldern zu liegen scheint. Wenn die jungen Stimmen in den noch winterkühlen Dorfkirchen singen: "Dein Zion streut dir Palmen", so stehen vor den Augen dieser Sänger die silbergleissenden Weidenkätzchen, die an Bach und Weiher auf Bienen warten, und wenn die Passionszeit über allem eine wolkendunkle Trauer ausbreitet, so weißt du doch am österlichen Horizont schon die helle Sonne des auferstandenen Christus:

"Dei Sunne steiht in'n Osterfelle!
Ave! Sei is wedder da,
Ave ook, Fru Ostera!
Dat Osterlicht, dat lüchtet klar,
Ave, Mundi, luminar!"

Also doch: so ein bisschen zurückgebliebenes Heidentum? Auch, wenn kostbarliche Schätze aus mittelalterlichen Mönchsgesängen eingeflochten sind? O nein! Denn der Chor antwortet dem jungen Manne:

"Christ, dei is uppestahn,
dei Saat, dei Saat is uppegahn!"

In vier Bildern wird das Geschehen zu Ostern uns dargebracht, jenes Geschehen, wie es außerhalb des kirlichen Raumes, aber eingebettet in das kirchliche Jahr in unseren Dörfern zum Teil sicherlich auch heute noch lebendig ist: Die Osternacht mit dem ebenso ernsthaften wie immer wieder durch mancherlei mutwillige Scherze gestörten Osterwasserholen, der Ostermorgen, der mit all seiner Gewissheit und seinem Glänze über Dörfern und Menschen aufgeht, das Eiersuchen, das nun in prallen, derben Farben die Lust am deftigen Genießen schildert. Bitte, hören Sie genau hin, wenn da gesungen wird:

"Vader deilt dän Osterbra'en,
brutzebruun un wohl gera'en;
Mudder bringt da ierste Greun:
Keek, Rabüntjen! Smecket scheun!"

Dann aber der fröhliche, kunterbunte Kinderchor, der das schöne Ostereiersuchen schildert:

"Da sitt noch wat, da sitt noch wat,
da sitt, da sitt, da sitt noch wat,
Haas, Haas, Haas!"

Und weil's überall ein Suchen ist in dieser sehnsüchtig machenden Luft — was wunder, dass auch die Liebenden einander suchen?

"Eck gah und stah in'n Freujahrswind, wer weit, wat meck gescheiht....."

Schliesslich das letzte: Das Osterfeuer.
Auch heute abend werden sie sicherlich rings herum lodern.

"Wee sammelt for dat Osterfüer, wer hat Holt?"

heischen die Kinder. Und dann:

"Alles, wat seck reugen kann,
sticket Osterfüer an!
Rundherum dat ganze Land
is vuller Füer un steiht in Brand!"

Sie, meine Damen und Herren, haben nun selbst zu urteilen, wie das alles dem Dichter gelungen ist, wie es gelungen ist, dieses Geschehen in plattdeutscher Sprache lebendig werden zu lassen. Aber es geschieht ein weiteres erstmalig, denn diese Verse hat Klaus Hashagen in eine durchaus moderne Musik gesetzt. In eine Musik, die so spielbar und so singbar ist, dass Sie alle, die Sie in den Dörfern jetzt zuhören, selbst diese Kantate bei sich mit Ihren Mitteln aufführen können, denn das ist der tiefere Sinn dieser unserer Sendung: dass wir Sie auffordern wollen, nicht nur zu hören, sondern sich anregen zu lassen, selbst mitzumachen, selbst diese Kantate einzustudieren. Das Instrumentarium ist so einfach, so, wie Sie es vielleicht von den Musikabenden Ihrer Schulen kennen: Blockflöten, eine Violine, ein Akkordeon, Instrumente aus dem Orff'schen Schulwerk wie Xylophone, Glockenspiel, Triangel, Becken, Handtrommel und Pauken.

Auch bei den Sängerinnen und Sängern, beim Chor hat der Komponist Klaus Hashagen daran gedacht, dass Laiensänger sich dieser Kantate annehmen sollen.
Um Ihnen das zu sagen, habe ich so etwas wie "einleitende Worte" gesprochen.
Wenn Sie die Sprache, die in unserem Kalenbergischen Raume noch gesprochen wird, als ein anderes, geistiges Feuer betrachten, so können Sie mit den Worten dieser Kantate sagen:

Wee hoolt noch lange
dat Füer in'n Gange,
wo wee tohope staht,
wo wee tohope gaht,
steiht use leiwe Land,
lichterloh, osterfroh
steiht dat in Brand!


12.4.2009


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